*** English version below ***

Flaneurin* oder Spaßverderberin*?

Flaneurin* oder Spaßverderberin*? ist ein Ausstellungs- und Performanceprojekt, das vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen Entwicklungen die Bewegungsfreiheit von als marginalisiert gelesenen Menschen (Frauen*, BIPoC – Black, Indigenous and People of Color oder LGBTIQA+ Menschen) im öffentlichen Raum aus verschiedenen Blickwinkeln: künstlerisch, politisch und philosophisch-soziologisch untersucht, um gemeinsam mit den eingeladenen Künstler*innen und den Besucher*innen eigene Vorschläge zu entwickeln. Hierbei ist besonders Sara Ahmeds Begriff der Spaßverderberin* eine Inspirationsquelle. Insgesamt sind Akteur*innen (Künstler*innen, Besucher*innen und Kooperationspartner*innen) eingeladen Arbeiten zu zeigen, die den Umgang mit öffentlichem Raum, seinen Grenzen und Möglichkeiten und im Speziellen dem Flanieren in Berlin aufzeigen.

Unsichtbare und camouflierte Grenzen

„Walking, for a woman, can be an act of transgression against male authority.“[1]

Sich in und durch die Stadt bewegen, sei es mit konkretem Ziel oder flanierend, kann für als marginalisiert gelesene Personen je nach Tageszeit mit einem Gefühl des Unbehagens verbunden sein – meist ausgelöst durch inadäquates Verhalten ihnen gegenüber bis hin zu gewalttätigen Handlungen. In der Öffentlichkeit sind insbesondere marginalisierte Personen potenziell Gefahren durch physische oder verbale Angriffe ausgesetzt. Sorgenfrei in der Stadt flanieren, und damit als Subjekt in Erscheinung treten ist etwas, das nach wie vor der Identität und dem sozialen Geschlecht des weißen Mannes (cis) vorbehalten ist.

Flanierend die Stadt einnehmen ist trotz oder gerade wegen des männlich geprägten Flaneur-Begriffs in der Literatur Walter Benjamins, Franz Hessels oder Charles Baudelaires zu einer feministischen Strategie geworden um sich Räume anzueignen. Die Bewegung kann als performativer Akt verstanden werden, der es den Nutzer*innen ermöglicht, ihre Konstitution in die Strukturen der Stadt einzuschreiben, sich aus der Unterwerfung zu erheben und ihre Persönlichkeitsrechte als gleichbedeutende Subjekte geltend zu machen. Die Schriftstellerin Aminatta Forna schreibt über historische Vorbilder: „Walking, for a woman, can be an act of transgression against male authority… Virginia Woolf, Jean Rhys, George Sand, the flâneuses whore corded their flânerie were women who all defied male authority in otherways, too.“ (Übersetzt etwa: „Spazieren kann für eine Frau ein Akt der Überschreitung männlicher Autorität sein… Virginia Woolf, Jean Rhys, George Sand, die Flaneusen, die ihr Flanieren aufgezeichnet haben, waren Frauen, die allesamt männliche Autorität auch sonst herausgefordert haben.“)[2].

Auch Sara Ahmed entwickelt und empfiehlt eine Figur, die sie „feministische Spaßverderberin“ nennt und es ermöglicht, alltägliche Systeme gegenseitiger Hilfe und Unterstützung zu schaffen. Die feministische Spaßverderberin* entspringt dem antifeministischen Stereotyp, das Feminist*innen unterstellt, unglücklich zu sein und das Glücklichsein anderer zerstören zu wollen. Ahmed entwickelt diese Figur neu wenn sie sagt: „Okay, wenn das Infragestellen von Sexismus und Rassismus in der Welt, das Herausfordern von Normen und Machtverhältnissen dir den Spaß verdirbt, dann bin ich bereit, dir den Spaß zu verderben.“[3]

Diese Rolle der Spaßverderberin* soll dem Projekt als Inspiration dienen und alle Akteur*innen ermutigen, Fragen zu stellen, die das vorherrschende Unbehagen beschreiben, herausfordern oder entmachten. Der Diskurs über die Institution „öffentlicher Raum“ muss per Definition im Austausch der jeweils Beteiligten stattfinden, um die Verhandlung von Fragen von allgemeinem Interesse zu ermöglichen. Voraussetzung hierfür ist einerseits die Verknüpfung menschlicher Handlungsräume ungeachtet ihrer sozialen Parameter; andererseits muss die Arena einen Ort der Intervention ermöglichen, um insbesondere unangenehme, grenzüberschreitende, vermeintlich dumme oder scheinbar überholte Fragen zu stellen.

Wellenförmig offenlegen

Flanieren, spazieren und sich durch das gemeinsame Bewegen den öffentlichen Raum erlaufen, ergreifen und erobern, kann als wellenförmige Struktur beschrieben werden, als subversive, aktivistische Raumaneignungsstrategie. „Viele Feminismen bedeutet viele Bewegungen. Ein Kollektiv ist etwas, das nicht stillsteht, sondern durch Bewegung hervorgebracht wird und Bewegung hervorbringt. Bei feministischem Handeln denke ich an kleine Wasserbewegungen, kleine Wellen, möglicherweise entstanden durch Wetterumschwünge; hier dort, jede Bewegung macht eine andere möglich, eine weitere kleine Welle, nach außen, zu den Rändern hin.“[4] Feminismus, so Ahmed, breite sich wellenförmig aus: „Feminismus ist in vielerlei Hinsicht eine Bewegung. Wir haben uns bewegt, um Feminist*innen zu werden. Vielleicht werden wir durch etwas bewegt: einen Gerechtigkeitssinn […].“[5]

Flaneurin* oder Spaßverderberin*? lädt Künstler*innen ein, sich mit der Frage nach öffentlichem Raum und der Formierung von Identitäten in ihm zu beschäftigen und eine ortsspezifische Arbeit für feldfünf e.V. und den öffentlichen Raum in Berlin zu entwickeln. Die künstlerischen Arbeiten sind als Interventionen im öffentlichen Raum, als Ausstellung in feldfünf e.V. und als Performances erfahrbar – die künstlerische Praxis kann so Menschen zusammenbringen, eine Plattform für Interaktion und Austausch schaffen aber auch verfestigte Strukturen hinterfragen, in Bezug auf Themen wie Zugehörigkeit, individuelle Vorstellungen, Bewegungsfreiheit sowie kollektives, alltägliches Handeln.

[1]Freeman, John: Freeman´s Power. Atlantic Books. 2018. [2]Freeman, John: Freeman´s Power. Atlantic Books. 2018. [3]https://taz.de/Sara-Ahmed-ueber-Feminismus/!5513932/ (Stand 18.09.2019) [4] Sara Ahmed: Feministisch leben! Manifest für Spaßverderberinnen, 2018, S. 10 [5] Sara Ahmed: Feministisch leben! Manifest für Spaßverderberinnen, 2018, S. 10

 

*** English version ***

Flâneur or Killjoy?

Flaneurin* oder Spaßverderberin*?  (Flaneur or Killjoy?) is an exhibition and performance project which, against the background of social developments, examines the freedom of movement of marginalized people (women*, BIPoC – Black and People of Color or LGBTQIA+) in public space from various perspectives: artistic, political and philosophical-sociological, in order to develop new suggestions with the invited artists and visitors. Sara Ahmed’s killjoy concept is a vivid source of inspiration throughout. All in all, the participants (artists, visitors and cooperation partners) are invited to show works that reflect on how we deal with public space, its limits and possibilities, and especially with strolling in Berlin.

Invisible and Camouflaged Borders

„Walking, for a woman, can be an act of transgression against male authority.“[1]

Walking in and through the city, be it with a concrete goal or just strolling around, can, depending on the time of day, be associated with a feeling of unease for marginalized individuals—usually triggered by inappropriate behavior towards the person up to acts of violence. In public, marginalized people in particular are exposed to potential dangers through physical or verbal attacks. Carefree strolling in the city, and thus appearing as a subject, is something that is still reserved for the identity and social gender of the white (cis) man.

Taking a stroll through the city, although in literature from Walter Benjamin, Franz Hessel to Charles Baudelaire the stroller is male in character, has become a feminist strategy for appropriating space. The movement can be understood as a performative act that enables the users to inscribe their constitution into the structures of the city, to rise from subjugation and to assert their personal rights as subjects of equal importance. The writer Aminatta Forna writes about historical models: „Walking, for a woman, can be an act of transgression against male authority… Virginia Woolf, Jean Rhys, George Sand, the flâneuses whore corded their flânerie were women who all defied male authority in other ways, too.”[2]

Sara Ahmed also develops and recommends a figure she calls „feminist killjoy“, which makes it possible to create everyday systems of mutual help and support. The feminist killjoy originates from the anti-feminist stereotype which assumes that feminists are unhappy and want to destroy the happiness of others. Ahmed recreates this character by saying: „Okay, if questioning sexism and racism in the world, challenging norms and power relations spoils your fun, then I’m willing to spoil your fun.”[3]

This role of the killjoy should serve as inspiration for the project and encourage all participants to ask questions that describe, challenge or disempower the prevailing unease. The discourse on the institution of „public space“ must by definition take place in interaction between the respective participants in order to discuss so-called questions of general interest. The prerequisite for this is, on the one hand, the linking of human spaces of action regardless of their social parameters; on the other hand, the arena must provide space for intervention, particularly to ask unpleasant, cross-border, supposedly stupid or seemingly outdated questions.

Exposing Through Wave Formations

Strolling, wandering and, by moving together, experiencing, embracing and conquering public space, can be described as an undulating structure, a subversive, activist strategy of appropriating space. „Many feminisms means many movements. A collective is something that does not stand still, but is produced by movement and generates movement. When I think of feminist action, I think of small movements of water, small waves, possibly caused by changes in the weather; here there, each movement makes another possible, another small wave, outwards, towards the edges“.[4]  Feminism, according to Ahmed, spreads in waves: „Feminism is a movement in many ways. We have moved to become feminists. Perhaps we are moved by something: a sense of justice.”[5]

Flaneurin* oder Spaßverderberin*? (Flaneur or Killjoy?) invites artists to deal with the question of public space and the formation of identities within it in order to develop a site-specific piece for feldfünf e.V. and the public space in Berlin. The artistic works can be experienced as interventions in public space, as an exhibition at feldfünf e.V. and as performances—artistic practice can thus bring people together, create a platform for interaction and exchange, but also question solidified structures, in relation to themes such as belonging, individual ideas, freedom of movement and collective, everyday action.

[1] Freeman, John: Freeman´s Power. Atlantic Books. 2018. [2] Freeman, John: Freeman´s Power. Atlantic Books. 2018. [3] https://taz.de/Sara-Ahmed-ueber-Feminismus/!5513932/ (18.09.2019)[4] Sara Ahmed: Feministisch leben! Manifest für Spaßverderberinnen, 2018, P. 10 [5] Sara Ahmed: Feministisch leben! Manifest für Spaßverderberinnen, 2018, P. 10

 

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